Monatsmagazin

IN MAGAZIN Winter 2021/2022

Liebe Leser*innen,

bis in den letzten Monat dieses Jahres hinein drückt die Corona-Pandemie auch diesem Jahr dem Leben seinen unerfreulichen Stempel auf – auch bei denjenigen, deren Gesundheit nicht unmittelbar durch Covid 19 in Mitleidenschaft gezogen wurde; die „Kolateralschäden“ waren und sind für die gesamte Gesellschaft enorm.

Für uns selbst war die erneute Absage des Sommerfestivals der Kulturen eine starke Zäsur – so wie die Pandemie für das gesamte Kulturleben, für Künstler*innen, Kultureinrichtungen und das Publikum große Schäden hinterlässt, für die einen mehr, für die anderen weniger und generell die negativen Auswirkungen der Pandemie höchst ungleich zutage treten und diejenigen, die ohnehin schon belastet und benachteiligt waren, besonders hart traf. Grundsätzlich haben sich bereits bestehende Ungleichheiten verschärft.

Darüber hinaus hat die Pandemie aber auch das soziale und offene Miteinander, die Art, wie wir miteinander umgehen und kommunizieren, empfindlich beschädigt. Als zwischenzeitlich das massive Impfen wieder etwas Schutz und damit auch wieder ein Stück Gelassenheit zurückbrachte, war spürbar, was uns alles entgangen war. Reale und unmittelbare Begegnungen, bei denen endlich auch wieder Gesichtszüge und Mimik unseres Gegenübers zu erkennen waren – und dies nicht nur in der rechteckigen Kachel eines Bildschirms – kehrten in den Alltag zurück. Es kam wieder häufiger zu Gesprächen, die nicht nur die strenge Tagesordnung eines durchstrukturierten Videotermins abarbeiteten, sondern auch Raum ließen für Zwischentöne, für Nebensächliches, scheinbar Unwichtiges: Kreativität bekam wieder Raum, festgefahrene Prozesse kamen voran und die Beteiligten sich endlich wieder näher. Das offene soziale Miteinander bekam wieder mehr Nahrung.

Auch ein lebendiges, interkulturelles Miteinander lebt von solchen offenen und unverfälschten Begegnungen von Angesicht zu Angesicht. Das Erspüren, Erleben und Ausloten von all dem, was zwischen den vielen unterschiedlichen kulturellen Welten und Weltsichten liegt, braucht Nähe. Soziale Distanz erzeugt eher das Gegenteil, unterstreicht das Trennende, produziert rasch digitale Schwarz-Weiß- Schemata. Vorurteile gedeihen leichter auf Distanz und verblassen schnell, wenn man sich wieder näherkommt. Das Verbindende wiederum ist eher in den Nuancen des Alltäglichen, des gelebten und erlebten Miteinanders zu finden, im „Dazwischen“, in analogen Zwischenräumen. Interkultur lässt sich mit digitalen Formaten wohl bestens verwalten und auch ein Stück weit sichtbar machen, aber nur bedingt erlebbar und nachhaltig gestalten.

Natürlich brachte die durch Corona beschleunigte Digitalisierung auch viel Nützliches mit sich: digitale Arbeitstreffen, an der jede*r barrierefrei teilnehmen kann, wo auch immer er oder sie sich gerade aufhält – und natürlich die Segnungen des Homeoffice (zumindest für diejenigen, deren „Home“ ein Segen ist und keine beengende Belastung). Und natürlich müssen wir angesichts der aktuell horrend steigenden Zahlen auch wieder mehr Vorsicht und Zurückhaltung walten lassen.

Doch trotz alledem: „Social distance“ darf nicht zur Normalität werden. Wir brauchen auch künftig soziale Nähe und ein offenes Miteinander, das verbindet und nicht ausgrenzt.

Für das kommende Jahr wünsche ich uns allen deshalb wieder mehr Begegnungen, wieder mehr gelebte Interkultur.

Ihr Rolf Graser
Geschäftsführer des Forums der Kulturen Stuttgart e. V.

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