Monatsmagazin

Aktuelle Ausgabe Oktober 2024

Liebe Leser*innen,

lange Zeit empfand eine breite Mehrheit der Bevölkerung Migration und die damit verbundene gesellschaftliche Vielfalt als Bereicherung und Solidarität mit Hilfesuchenden als wertvolles Gut. Doch in letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die „Migration als die Mutter aller Probleme“ sehen.

Das gesellschaftliche Klima wird migrationsfeindlicher. Migrant*innen, insbesondere Muslime, geraten unter Generalverdacht, werden zu Sündenböcken für alles was hier (scheinbar) schiefläuft. Doch wer permanent Migration zum „derzeit größte Problem“ hochstilisiert, macht vor allem rechtsextreme Positionen weiter anschlussfähig.

Befeuert wurde all dies durch verschiedene, meist islamistisch motivierte Terrorangriffe, nicht zuletzt durch die schreckliche Messerattacke in Solingen. Seitdem beobachten wir einen Überbietungswettbewerb, wer die härtesten und wirkungsvollsten Abschiebe- und Abschottungsmaßnahmen vorzuweisen hat. „Die Bedrohung kommt von außen“ ist das derzeit wohl am häufigsten vorgebrachte Narrativ. Dabei ist das alles – wie der Name schon sagt – eine Frage der inneren Sicherheit. Es sind dies Probleme und Herausforderungen, die wir hier in Deutschland haben und die hier auch angegangen werden müssen. Die meisten sogenannten Gefährder leben schon seit vielen Jahren hier oder sind sogar hier geboren, wurden in Deutschland sozialisiert und haben sich meist auch in Deutschland radikalisiert. Die Schließung der Grenzen macht unser Land keinen Deut sicherer und wird auch nicht verhindern können, dass Deutschland nach wie vor ein Einwanderungsland ist – mit all den Herausforderungen, die damit verbunden sind. Doch während zur Grenzsicherung wirtschaftliche Schäden und zusätzliche Ausgaben in Kauf genommen werden, wird bei Integrationsmaßnahmen ebenso gespart wie bei der Islamismusprävention. Eine verkehrte – von Rechtsaußen getriebene – Welt.

Längst wird nicht mehr „nur“ über die sogenannten „illegal Eingewanderten“ diskutiert. Der zunehmend von Rechtspopulisten beherrschte Diskurs bezieht sich letztlich auf alle Eingewanderten. Wenn Migration die „Mutter aller Probleme“ ist, dann sind Migrant*nnen und ihre Nachkommen die „Problemkinder“, dann ist man in letzter Konsequenz in der Nähe von dem, worüber sich zu Beginn des Jahres noch alle aufregten, dann ist man nur noch wenige Schritte entfernt von dem Unwort „Remigration“.

Dennoch befürwortet eine große Mehrheit „Kulturelle Vielfalt“ und weiß, dass Deutschland Migrant*innen für seine Wirtschaft braucht. Um dies mit den Forderungen nach Abschiebung und Abschottung zu vereinbaren, unterscheiden manche zwischen „nützlichen“, „guten“ Migrant*innen und weniger nützlichen, die „uns“ nur auf der Tasche liegen. Auch eine solche zutiefst unsolidarische Haltung trägt bei zum allseits zu beobachtenden Klima der Migrationsfeindlichkeit und damit letztlich auch zur Migrant*innen-Feindlichkeit – ein Klima, das im übrigen auch geeignet ist, Menschen zu radikalisieren. Wer permanent zum Sündenbock erklärt wird, kommt irgendwann vielleicht tatsächlich auf die schiefe Bahn.

Ein pessimistisches, wenig erbauliches Bild, das ich hier zeichne, vielleicht auch überzeichne – denn die anderen, die nach wie vor aus vollem Herzen für eine offene und vielfältige Gesellschaft eintreten, für die alle hier lebenden Menschen gleich viel wert und Menschlichkeit und Zusammenhalt keine leere Worthülsen sind, gibt es ebenfalls in beträchtlicher Zahl. Nicht nur beim Sommerfestival der Kulturen war dies sichtbar. Doch sie sind derzeit nur wenig hörbar. Wir sollten alle die Stimme erheben und noch stärker eintreten für Vielfalt, Offenheit und Menschenrecht. Dies ist inzwischen leider keine Selbstverständlichkeit mehr.

Ihr Rolf Graser
Geschäftsführer des Forums der Kulturen Stuttgart e. V.

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