Monatsmagazin
Aktuelle Ausgabe Winter 2024 / 2025
Liebe Leser*innen,
das nun zu Ende gehende Jahr hat uns alle, denen Vielfalt und Offenheit am Herzen liegt, vor Herausforderungen gestellt, mit denen wir noch vor einigen Jahren nicht gerechnet hätten.
Werte und Haltungen, die für eine vielfältige und offene Demokratie elementar sind, sind mancherorts nicht mehr konsensfähig; rechtspopulistische und rechtsextreme Strömungen gewinnen Oberwasser. Ein migrationsfeindliches Klima, das noch vor kurzem undenkbar gewesen wäre, macht sich breit. Und auch der nun anstehende Wahlkampf birgt die Gefahr einer weiteren Spaltung der Gesellschaft.
Begonnen hat das Jahr mit den „Remigrations“-Enthüllungen, die die ganze Tragweite rechtspopulistischer Fantasien und Bedrohungen sichtbar machten. Doch was Anfang des Jahres noch allseitige Empörung nach sich zog, wird zunehmend zum Mainstream. So sind inzwischen – laut einer aktuellen Umfrage – 31,1 % der Befragten im Westen und 38,4 % im Osten der Ansicht, dass Deutschland „durch die vielen Ausländer überfremdet“ sei. Und während das Bemühen um eine wertschätzende Willkommenskultur ebenso schwindet wie die Finanzierungshilfen für Sprachkurse und Integrationsmaßnahmen, überbieten sich Politik und Medien in immer wieder neuen Vorschlägen rund um die Themen Abschiebung, Zurückweisung und Grenzschließung.
Berechtigte Sorgen um die Sicherheit und ein zwingend notwendiger Schutz vor Kriminalität fokusieren sich derzeit fast ausschließlich auf Migrantinnen und Migranten, die derzeit beliebtesten Sündenbocke. Die nach wie vor erschreckend hohe und immer weiter steigende Zahl an rassistisch und antisemitisch gepägter Gewalttaten wird ebenso in den Hintergrund gedrängt wie die Tatsache, dass die große Masse der Migrant*innen – ebenso wie die große Masse derer, die keinen Migrationsbezug haben – unbescholtene Bürger*innen sind – mit dem großen Unterschied, dass Menschen, die „etwas anders“ aussehen, häufiger verdächtigt und nicht selten entsprechend schikaniert werden.
Die traurigen Höhepunkte in diesem Jahr des migrationspolitischen „Roll-Back“ bildeten die verschiedenen Wahlen – nicht nur in Deutschland, sondern unter anderem auch in Frankreich, Österreich und den USA – in denen rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien und Positionen teils erschreckend hohe Zugewinne erzielten.
Man könnte das Jahr in tiefster Depression beenden, doch es gibt nicht nur das migrationsskeptische bzw. feindliche Deutschland, es gibt nicht nur Hass, Hetze und Gewalt. Es gibt auch eine zunehmend selbstbewusste Gegenwehr – mit eindrucksvollen Großdemonstrationen im ganzen Land, mit Initiativen von „Omas gegen Rechts“ bis hin zu Bürgervereinen und Gemeinden, die sich explizit für eine weiterhin bunte und offene Gesellschaft stark machen. Und auch der Blick auf die Wahlergebnisse weist für das demokratische Lager immer noch eine deutliche Mehrheit aus.
Doch wir müssen uns der Gefahren für unsere Demokratie und unsere freiheitliche Gesellschaft bewusst sein und uns wappnen: Wir – auch und gerade all die vielen migrantischen Communitys, Vereine und Initiaitiven – müssen uns (wieder) stärker politisch einmischen, bei den Wahlen ebenso wie im Alltag. Wir müssen – statt uns um Begrifflichkeiten und Befindlichkeiten zu streiten – gemeinsam dafür eintreten, dass Menschlichkeit und Solidarität, gerade auch Schwachen und Verfolgten gegenüber, wieder unser Handeln bestimmen und nicht Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus und Ausgrenzung. Es gibt viel zu tun – aber wir sind auch Viele.
Ihr Sami Aras
Vorsitzender des Forums der Kulturen Stuttgart e. V. und Mitglied im Vorstand des Landesverbands (post-)migrantischer Organisationen Baden-Württemberg
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