Monatsmagazin

Aktuelle Ausgabe November 2023

Liebe Leser*innen,

Migration wird wieder einmal als „Mutter aller Probleme“ an den Pranger gestellt. Und das nicht nur weil immer mehr Menschen Zuflucht in Deutschland suchen – angesichts der zunehmenden Krisenherde und Kriege kein Wunder. Auch viele andere Probleme und Ängste werden auf „die“ Migration projiziert. Längst vergessen geglaubte Vorbehalte und Vorurteile treten wieder zu Tage – ein idealer Näherboden für politische wie auch mediale Vertreter*innen des ewig Gestrigen.

Wenn es dann noch zu Krawallen rund um eine eritreische Veranstaltungen kommt, wie kürzlich beim Römerkastell, oder wenn alte Konflikte, wie die zwischen Palästinensern und Israelis, wieder hochkochen – ausgelöst durch den schrecklichen Terrorangriff der Hamas – dann mischt sich wieder erstarkende Migrationsskepsis mit der alten Neigung zum Pauschalisieren, dann werden rasch alle Palästinenser*innen in die Hamas-Ecke gestellt und geraten ebenso wie alle Eritreer unter Generalverdacht. Auf Seite 30 findet sich hierzu eine ausführliche Stellungnahme des Forums der Kulturen.

Doch je mehr man sich darin überbietet, die Folgen von Flucht und Migration zu problematisieren, desto mehr trübt sich der Blick auf die Realität eines Einwanderungslandes, das – trotz Kriegen und Krisen – immer noch zu den reichsten und sichersten Ländern dieser Welt zählt und dessen Jammern ein Jammern auf sehr hohem Niveau ist. Und schnell wird vergessen, dass unser Land ohne jahrzehntelange Einwanderung und ohne seine große gesellschaftliche und kulturelle Diversität um vieles – auch ökonomisch – ärmer wäre. Nicht zuletzt die Wirtschaft macht immer wieder deutlich: ohne weitere Zuwanderung verblasst selbst das einst so bedeutsame Markenzeichen Made in Germany immer mehr.

Made in Stuttgart ist der Name eines Festivals, das nun schon zum sechsten Mal, koordiniert vom Forum der Kulturen, den kulturellen Reichtum einer diversen Stadtgesellschaft und die Kreativität (post-)migrantischer Künstler*innen in den Vordergrund und auf die Bühnen dieser Stadt stellt.

Was wäre Stuttgarts Kulturlandschaft ohne all die vielen Künstlerinnen und Künstler, die in anderen kulturelle Traditionen und Kontexten groß geworden sind, die teilweise traumatisierende Fluchterfahrungen hinter sich haben, oft immer noch unter Benachteiligung und Ausgrenzung leiden, im Alltag und nicht selten auch auf der Bühne. So unterschiedlich sie sind, sie gehören zu den wichtigsten und kreativsten Motoren unserer hochdiversen Stuttgarter Kulturszene. Man könnte ins Schwärmen kommen, wenn man sich das geballte Programm von Made in Stuttgart anschaut. Von einer Bürgerjury ausgewählt und einem einmalig großen kulturellen Netzwerk von 20 Veranstaltenden auf die Bühnen dieser Stadt gebracht, zeigt das Festival mit Konzerten, Theater- und Tanzaufführungen, Filmen, Lesungen, Ausstellungen und Workshops die ganze Bandbreite und den enormen Reichtum (post-)migrantisch geprägten kulturellen Schaffens. Made in Stuttgart macht Migration zur „Mutter aller Künste“, zu einem überaus sehenswerten Gegenmodell zur „Mutter aller Probleme“.

Sami Aras
Vorsitzender des Forums der Kulturen Stuttgart e. V.

(Ältere Ausgaben des Monatsmagazins stehen hier zum Download zur Verfügung.)