Monatsmagazin

IN MAGAZIN April 2022

Liebe Leser*innen,

während ich dies schreibe, fallen Bomben und Menschen sterben, Opfer eines sinnlosen Kriegs – und dies nicht weit weg von uns, quasi vor unserer Haustür. Dieser schreckliche Krieg muss beendet werden – ohne jedes wenn und aber!

Und auch den Menschen, die vor diesem Krieg fliehen, muss geholfen werden – auch dies ohne jedes wenn und aber! Es wird auch viel getan, mehr als bei jedem anderen Krieg und bei jeder anderen Krise. Das vielfältige Engagement der Bürgerschaft für die Schutzsuchenden ist großartig, aber auch das schnelle Handeln von Politik und Verwaltung bietet wenig Anlass für Kritik, wie sie bei früheren Krisen und Kriegen vorgebracht wurde.

Wir alle sind zutiefst betroffen und wir allen empfinden in diesen Tagen eine enorme Empathie für die Menschen, die in der Ukraine Schreckliches erleben und dennoch weiter Widerstand leisten, ebenso wie für die Menschen, die aus der Ukraine fliehen.

Doch bei all dem dürfen wir nie vergessen, dass in diesen Minuten auch in vielen anderen Ländern Bomben fallen und Menschen Opfer von Kriegen werden und Schutz suchen vor diesen Kriegen, auch hier, in Europa. Elend und Not, schreckliche Kriege, menschenvernichtende Krisen und nicht zuletzt um Hilfe flehende Flüchtende gibt es auch an anderen Orten dieser Welt, an viel zu vielen Orten.

Elend und Not kann und darf nicht gegeneinander aufgewogen und ausgespielt werden. Solidarität mit der Ukraine und mit den Menschen, die aus der Ukraine fliehen, darf nicht ausgespielt werden gegen die Solidarität mit Menschen, die vor den vielen anderen Kriegen und Krisen dieser Welt fliehen. Unsere Solidarität muss allen Schutzsuchenden gelten. Es darf keine selektive Willkommenskultur geben, keine Ungleichbehandlung von Geflüchteten aus den verschiedenen Kriegs- und Krisengebieten.

Doch es gibt sie, diese selektive Willkommenskultur. Man spricht schon davon, dass jetzt endlich die „richtigen Flüchtlinge“ kommen. Die schrecklichen Erlebnisse und Traumata aller anderen Menschen, die bei uns Schutz suchen, werden auf die Seite geschoben. Es werden Kategorien und Schubladen aufgemacht. Es wird gewertet und damit auch abgewertet. Es wird diskriminiert – und das nicht nur, wenn nicht weiße Geflüchtete an der Grenze anderes behandelt werden als weiße Geflüchtete.

Aber auch Menschen russischsprachiger Herkunft erfahren in diesen Tagen vielerorts Diskriminierungen, werden mitverantwortlich gemacht für die Politik „ihres“ Landes, genauso wie Asiat*innen für das Coronavirus und Muslim*innen für Terrorakte verantwortlich gemacht wurden. Dieser Krieg bringt auch Rassismus und andere Ideologien der Ungleichwertigkeit verstärkt zum Vorschein.

Wenn nun von einer „neuen Weltordnung“, von neuen Herausforderungen die Rede ist, so geht es dabei auch um die Verabschiedung von Komfortzonen, von (Vor)machtstellungen, von Gewohntem. Allein die Hilfe für die vielen Schutzsuchenden, nicht nur aus der Ukraine, wird unsere Gesellschaft vor Herausforderungen stellen, die auch einen langen Atem erfordern, in jeglicher Hinsicht. Unsere (hoffentlich unteilbare) Willkommenskultur darf nicht bröckeln, wenn im eigenen Alltag Abstriche erforderlich werden. Solidarität ist kein Spaziergang.

Wir hoffen, dass die Lektüre dieses Magazins ihnen auf diesem Weg etwas behilflich sein kann.

Ihr Sami Aras
Vorsitzender des Forums der Kulturen Stuttgart e. V.

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