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Der Internationale Ausschuss zur „Stadtbild“-Debatte
Die sachkundigen Mitglieder des Internationales Ausschuss der Landeshauptstadt Stuttgart nehmen Stellung zur „Stadtbild“-Debatte und betonen: Sichtbarkeit ist keine Bedrohung.
Stuttgart ist Heimat für alle, die hier leben. Niemandes Zugehörigkeit hängt vom Erscheinungsbild ab. Unsere Stadt versteht Sichtbarkeit als gewohnten Teil des gemeinsamen Alltags. Wer von einem „Problem im Stadtbild“ spricht und damit Menschen mit vermeintlicher Migrationsgeschichte meint, verkennt, was unser Grundgesetz lehrt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Zugehörigkeit gilt unabhängig von zugeschriebenen Merkmalen und ohne Ansehen der Person, sei es Alter, Religion, Behinderung, Krankheit oder der Ausdruck der eigenen Identität.
Wir knüpfen an den Stuttgarter Weg an, den Oberbürgermeister Manfred Rommel in den 1990ern geprägt hat. Humanität und Rechtsstaatlichkeit gehören zusammen. Klare Worte ohne Abwertung. Entschlossenes Handeln ohne Pauschalurteile. Unsere Stadt ist eine plurale Stadtgesellschaft. Unterschiedliche Lebensweisen, Mehrsprachigkeit und Vielstimmigkeit gehören seit jeher zu unserem Alltag.
Das gilt gleichermaßen für die Bundesrepublik. Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger sollen sich wieder klar an einem menschenrechtlichen Verständnis ausrichten und sich unmissverständlich zu den in unserer Geschichte hart erkämpften demokratischen Grundwerten bekennen.
Die Rede vom „Problem im Stadtbild“ verlagert den Blick weg von Ursachen wie Ausgrenzung und ungleichen Chancen hin zu den Menschen selbst. Es ist nicht die Aufgabe von Minderheiten, sich fortwährend zu erklären, anzupassen oder zu rechtfertigen. Aufgabe politischer Institutionen ist es, Verhältnisse zu schaffen, die echtes Aufeinanderzugehen ermöglichen.
Wer Menschen aufgrund ihres Aussehens als Problem für die gesellschaftliche Sicherheit markiert, stellt Zugehörigkeit pauschal in Frage und fördert Ausgrenzungsmechanismen. Wem es tatsächlich um Sicherheit geht, weiß, dass sie durch klare Regeln für alle entsteht und durch deren Anwendung am Verhalten, nicht am Erscheinungsbild.
Dazu gehört die ehrliche Selbstreflexion politischer Gremien und Verwaltungen, deren personelle Zusammensetzung unsere bundesrepublikanische Gesellschaft noch nicht widerspiegelt.
Es ist auch in Stuttgart eine Repräsentanzlücke, dass zentrale Teile der Stadtgesellschaft in Verwaltung, Gremien und Führungsebenen unterrepräsentiert sind. Dazu zählen verschiedene Altersgruppen und soziale Lagen, Menschen mit Behinderung, Mehrsprachige, Personen mit Care-Verantwortung sowie Menschen mit unterschiedlichen Bildungswegen und migrantischen Biografien. Diese Lücke ist nicht nur symbolisch, sie wirkt in Entscheidungen hinein. Wo Erfahrungen fehlen, entstehen Erkenntnislücken, die Konsequenzen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben.
Angesichts des kommenden Doppelhaushalts, der von Einsparungen geprägt sein wird, appellieren wir an Gemeinderat und Verwaltung, die bestehenden und bewährten Bausteine demokratischer Infrastruktur zu sichern und verlässlich zu verstetigen. Gemeint sind die in Stuttgart etablierten Programme und Strukturen der Demokratiebildung, der Antidiskriminierungsarbeit, der inklusiven Beratung, der bezirksorientierten Beteiligung, der Prävention im öffentlichen Raum, der Sprachförderung, der Chancengerechtigkeit in der Bildung sowie (post-)migrantisches Engagement in der Interkulturarbeit.
Es handelt sich dabei nicht um freiwillige Extras, sondern um unabdingbare Voraussetzungen für einen tragfähigen Zusammenhalt der Stadtgesellschaft. Kürzungen an diesen Stellen vertiefen Erkenntnislücken, schwächen Teilhabe und untergraben in der Folge das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Stadt. Werden Demokratie-, Teilhabe- und Integrationsprojekte geschwächt, werden langfristige und unabsehbare Folgekosten billigend in Kauf genommen – sozial, politisch und wirtschaftlich. Das können wir uns als Landeshauptstadt schlicht nicht leisten.
Demokratiebildung richtet sich an alle, besonders an Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger in Politik, Verwaltung, Medien und Bildung. Sprache ist kein Kommentar zur Demokratie, sie ist ihr Werkzeug. Sie soll Rechte sichern, auf Augenhöhe führen und die gleiche Würde aller sichtbar machen.
Wenn wir von oben herab reden, schließen wir Menschen aus. Das ist nicht Klarheit. Das ist ein Verlust an Demokratie.
Unsere Worte sollen zeigen: In dieser Stadt zählt jede Person gleich viel, hat die gleiche Stimme und den gleichen Platz, unabhängig vom individuellen Ausdruck. Wir nutzen Sprache so, dass alle sichtbar und hörbar werden. Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger auf allen Ebenen sollten sich dieser Sprache annehmen, wenn ihnen an gesellschaftlichem Zusammenhalt gelegen ist.
Stellungnahme der sachkundigen Mitglieder aus dem Internationalen Ausschuss der Landeshauptstadt Stuttgart zur aktuellen „Stadtbild“-Debatte, 23. Oktober 2025