Monatsmagazin

IN MAGAZIN Mai 2022

Liebe Leser*innen,

es ist menschenverachtend, was derzeit in der Ukraine geschieht. Und es ist unbestritten, dass wir alles tun müssen, was in unseren Kräften steht, um den Menschen, die unter diesem schrecklichlichen Krieg leiden, zur Seite zu stehen!

Doch schreckliche Ereignisse verdrängen nicht selten andere Themen aus den Schlagzeilen: Kriege und Krisen in anderen Ländern ebenso wie all die viele Missstände hierzulande. Dabei darf es nie darum gehen, das eine gegen das andere auszuspielen. Doch gerade in emotionsgeladen Zeiten wie diesen gilt es, den globalen, multiperspektivischen Blick auf das Ganze nie verlieren.

Oft wird betont, das Bedrohliche an diesem Angriffskrieg bestünde auch darin, dass er direkt „vor der Haustüre“ stattfindet. Und geographisch betrachtet ist dies natürlich richtig. Doch in unserer globalisierten und auf das Engste miteinander verflochtenen Welt liegt letztlich auch Mali, Jemen oder Afghanistan „vor unserer Haustüre“ und auch Ereignisse in diesen Ländern können das Leben hier in Deutschland massiv beeinflussen – und umgekehrt. Eine selektive, meist eurozentristische Wahrnehmung des Weltgeschehens führt rasch zur Einteilung der Welt in Gut und Böse, zu Blockdenken (und Denkblockaden), zu Kategorisierungen und Schubladendenken („der“ Westen, „die“ Russen usw…) – und damit letztlich wieder zu Hass und Gewalt.

Ähnliches gilt auch für den Umgang mit nationalistischen Denkmustern, welcher Art auch immer. So verständlich es ist, dass der mutige Kampf der Menschen in der Ukraine oft auch mit einem ausgeprägten Nationalismus einher geht, so sehr sollte man sich stets bewusst machen, dass Nationalismus noch nie Frieden gebracht hat, oft genug aber Krieg und Verfolgung. Die einzige Möglichkeit langfristig und nachhaltig Frieden zu erhalten, sind Projekte, die in der Lage sind, Grenzen zu überwinden und abzubauen, wie zum Beispiel – bei all ihren Schwächen – das Projekt „Europa“. Doch auch hier gilt, dass letztlich jeder Zusammenhalt immer auch exklusiv ist und stets auch „die Anderen“ ausschließt: jedes „Wir“ hat auch ein „Ihr“. Auch Europa – so friedensstiftend es nach innen wirken mag – hat seine Außengrenzen, die es mit Mitteln verteidigt, die alles andere als menschenfreundlich sind.

Putins Krieg gegen die Ukraine ist aber auch eine Kampfansage gegen eine jegliche vielfältige und offene Gesellschaft. Als autokratischer Herrscher steht er für einen monokulturellen und intoleranten Nationalismus, für einen Konformismus, dem jegliche Art von Vielfalt und Demokratie zuwider ist – Haltungen, die er weder im eigenen Land noch an seinen Grenzen duldet. Und so ist es auch kein Zufall, dass er rechtspopulistischen Gruppierungen in ganz Europa unterstützt – allesamt Gegnern einer vielfältigen und offenen Gesellschaft.

„Vielfalt verteidigen“– eine unserer zentralen Aufgaben als Forum der Kulturen – gilt also nicht nur für unsere aktuelle Arbeit hier in Stuttgart, sondern auch für den Krieg in der Ukraine – denn auch dort geht es um die Verteidigung von Vielfalt, gegen das einfältige Denken und Agieren nationalistischer Autokraten.

Sich für eine vielfältige und offene Weltengemeinschaft stark machen, ist nötiger denn je, auf der ganzen Welt, aber auch hier in Stuttgart.

Ihr Rolf Graser
Geschäftsführer des Forums der Kulturen Stuttgart e. V.

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