Monatsmagazin

IN MAGAZIN November 2022

Liebe Leser*innen,

Kürzlich stellte das badenwürttembergische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung vor. Die Wissenschaftler*innen erforschten den Zusammenhalt der Gesellschaft während der Corona-Pandemie. Und dieser ist laut ihrer Studie in Baden-Württemberg deutlich gesunken: Die sozialen Beziehungen der Menschen zueinander sind geschwächt und die Offenheit für Vielfalt ist zurückgegangen, ebenso das Vertrauen in Institutionen, die Anerkennung sozialer Regeln und nicht zuletzt das Interesse an einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Die Studie hat auch einen engen Zusammenhang festgestellt zwischen nachlassender Solidarität und Hilfsbereitschaft und einer geringeren Identifikation mit dem Gemeinwesen auf der einen und sozialer Lage und gesellschaftlicher Stellung auf der anderen Seite. Besonders betroffen hiervon sind unter anderem Alleinerziehende, chronisch Kranke, Arbeitslose, Menschen mit geringem Einkommen und – wen wundert’s – Menschen mit Diskriminierungserfahrung, und hier vor allem Menschen mit Migrationsgeschichte.

Als Schlussfolgerungen nennt das Ministerium die „Stärkung benachteiligter Gruppen“, aber auch eine „bessere Anerkennung und eine langfristige Wertschätzung des Ehrenamts“. Mehr Begegnungsmöglichkeiten und eine stärkere Förderung des Vereinslebens wurden ebenso genannt. Das hören wir mit Freunde und werden dies sicherlich auch einfordern.

Geschlussfolgert wird auch die Notwendigkeit eines offenen Dialogs und von mehr Orten des Austauschs sowie einer Stärkung der Antidiskriminierungsarbeit; die Landes-Antidiskriminierungsstelle wurde ausdrücklich genannt. Völlig zu Recht, denn was kann den Zusammenhalt einer Gesellschaft mehr bedrohen als Rassismus und Diskriminierung?

Ein Engagement für „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ ist wichtig. Es verkommt aber auch leicht zur Floskel, um Widerspruch und Differenz, Unterschiedlichkeit und Vielfältigkeit unter den Teppich der „großen Gemeinschaft“ zu kehren. Dabei bilden Vielfalt und Widerspruch die Seele eines lebendigen, für alle offenen und niemanden ausschließenden, echten Zusammenhalts.

Und auch bei der viel beschworen „Augenhöhe“ gilt es genauer hinzuschauen: Denn wenn diejenigen, die auf „gleicher Augenhöhe“ Zusammenhalt praktizieren sollen, ungleiche Voraussetzungen mitbringen und vor allem unterschiedliche Machtpositionen innehaben (und das ist ja der Normalfall), dann muss derjenige mit den schlechteren Voraussetzungen erstmal etliche Stufen einer oft sehr steilen Leiter erklimmen, um seinem Gegenüber wirklich „auf Augenhöhe“ begegnen zu können. Hier ist erstmal Empowerment für die jeweils Schwächeren angesagt. Wer Machtgefälle ignoriert und sich nicht um die Stärkung der Schwächeren kümmert, der wird den Rückgang gesellschaftlichen Zusammenhalts noch lange beklagen müssen.

Studien wie die genannte sind wichtig und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen zu begrüßen. Die zielgerichtete und zügige Umsetzung der Schlussfolgerungen drängt.

Ihr Sami Aras
Vorsitzender des Forums der Kulturen Stuttgart e. V.

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