Monatsmagazin

IN MAGAZIN Oktober 2022

Liebe Leser*innen,

Steigende Preise, Lieferengpässe, vor allem beim Gas, eine drohende Rezession – all das ist derzeit für viele Menschen eine reale Bedrohung, lässt sie fürchten, sich bald auch das Nötigste, das sie zum Leben brauchen, nicht mehr leisten zu können. Viele sehen ihren derzeitigen Lebensstandard bedroht.

Doch wenn man genauer hinsieht, wird schnell deutlich, wie ungleich die Probleme sind: Einige Wenige werden trotz – oder vielleicht gerade wegen – der derzeitigen Krise noch reicher und sind weit davon entfernt, ihren Gürtel enger schnallen zu müssen. Und auf der anderen Seite sind diejenigen, die auch in der Vergangenheit jeden Euro zweimal umdrehen mussten, von der aktuellen Entwicklung besonders betroffen.

Längst ist bekannt, dass bei Menschen mit einer Migrationsbiografie die Gefahr der Verarmung besonders groß ist. Sie sind überproportional vertreten bei Billiglohnarbeiter*innen, Wohnungs- und Arbeitssuchenden und denjenigen, die große familiäre Verpflichtungen zu schultern haben. Doch haben der fehlende Arbeits- oder Ausbildungsplatz und die prekären und beengten Wohnverhältnisse in der Regel nur wenig zu tun mit Sprachdefiziten oder mangelnden Qualifikationen, wie dies oft suggeriert wird; viele dieser Menschen sind hoch qualifiziert. In den meisten Fällen ist all das schlicht und einfach Folge von Diskriminierung und Rassismus. So werden Bewerber*innen mit ausländisch klingenden Namen bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche oft links liegengelassen und erhalten lediglich die Jobs oder Wohnungen, die noch übrig sind. Und dort, wo es tatsächlich an Qualifikationen und Kenntnissen mangelt, muss unser Bildungssystem kritisch angeschaut werden, denn auch hier findet jede Menge an Ausgrenzungs- und Benachteiligungsmechanismen gegenüber Menschen mit migrantischen Biografien.

„Aber hier geht es uns doch immer noch viel besser als den Menschen in den ‚armen‘ Ländern; wir leben hier doch immer noch wie im Schlaraffenland“, bekommen wir immer wieder zu hören. Natürlich leiden die (meisten) Menschen im sogenannten „globalen Süden“ um ein Vielfaches stärker unter der aktuellen Krise und natürlich werden diejenigen, die in Deutschland als „arm“ gelten, in diesen Ländern eher als „reich“ eingestuft. Gerade weil sie die Verhältnisse, vor denen sie selbst, ihre Eltern oder Großeltern geflohen oder ausgewandert sind, besser kennen als jede*r andere, engagieren sich so viele Migrant*innen entwicklungspolitisch und ganz spezifisch gegen das globale Ungleichgewicht und für eine soziale und gerechte Welt.

Die Not des einen Teils dieser Erde darf nicht gegen die Not des anderen Teils ausgespielt werden. Wir alle leben in der einen Welt. Das Engagement für Chancengleichheit und gegen Armut ist hierzulande ebenso bedeutsam und wichtig wie anderswo. Wer sich für Vielfalt und gegen Hass und Ausgrenzung engagiert, muss sich auch für Chancengleichheit und eine gerechtere, sozialere Welt stark machen. Auch Interkultur muss sozial gedacht werden.

Ihr Sami Aras
Vorsitzender des Forums der Kulturen Stuttgart e. V.

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